Die "Gedanken zum Tag" im Radio (BR 2), die am 19.10. gesendet worden waren, haben mich darüber nachdenken lassen, was wohl in der Seele geschieht, wenn die Fähigkeit, logisch zu denken und sich zu erinnern, verloren geht.
"Gedanken zum Tag" entnommen aus: Augustinus "Bekenntnisse", in Zeno.org., nach der deutschen Übersetzung von Georg Rapp, Stuttgart 1838
"Eine große Kraft ist das Gedächtnis, mein Gott, voll unergründlicher, unzähliger Fälle, und so ist meine Seele, und so bin ich selbst. Was bin ich also, mein Gott, und welche Natur bin ich? Ein unaussprechlich vielfaches Leben bin ich. Siehe in den unzähligen Gefilden und Gründen meines Gedächtnisses die Arten unzähliger Dinge, mögen sie in mich gekommen sein als Bilder, wie sie von der Körperwelt kommen, oder als die Sachen selbst, wie bei den Wissenschaften, oder gar unergründlich, wie bei den Gefühlen der Seele! Durch das Alles bewege ich mich und finde das Ende nicht. Solche Lebenskraft ist das Gedächtnis im sterblichen Menschen! Und auch über sie muss ich mich erheben, wenn ich zu dir gelangen will, wo du erreichbar bist und dir anhangen um an dir zu bleiben. Denn auch die Tiere haben Gedächtnis - wie könnten sie sonst ihre Lager und Nester wiederfinden - und finden dich nicht; du aber erhebst mich über sie, du machtest mich weiser als sie. Aber wo finde ich dich nun...? Wo find ich dich? Wenn ich dich außerhalb meines Gedächtnisses finde, vergesse ich dich und wie soll ich dich finden, wenn ich dein vergaß?"
Ich muss gestehen, dass ich mich schwer tue mit diesem Text.
Und ich bin mir nicht sicher, ob die Gedanken, die mir darauf in den Sinn gekommen sind, auch dazu "passen".
Die Beschäftigung mit der Alzheimer-Erkrankung (siehe vorige Seite) hat mich zu der Frage geführt:
Was geschieht mit meinem Glauben, meinem "Gottesbild", meinen Wertvorstellungen, wenn das Gedächtnis verloren geht, wenn die Fähigkeit, logisch zu denken, verloren geht?
Bleibt dann das, was im Laufe des Lebens "in Fleisch und Blut" übergegangen ist, das, was in jeder Körperzelle gespeichert ist?
Und schließlich nur noch das, was vor allem Erlernten, Erfahrenen eines Lebens schon immer da war?
Das Wesentliche?
Was ist, wenn Unversöhnlichkeit, Bitterkeit, Hass und Wut in "Fleisch und Blut" übergegangen sind, weil ein Mensch nie aus dieser lebenszerstörenden Energie herausgefunden hat -
weil ihm nie herausgeholfen wurde, weil er es nicht zulassen wollte/konnte?
Dann kann die Zeit des "verlorengehenden Denkens" eine "höllische" Zeit für den Betroffenen werden und eine sehr schwere Zeit für die Menschen, die ihn aushalten müssen.
Aber ich glaube, dass geduldige, liebevolle Begleiter auf diesem Weg Wegbereiter zu einem guten Ende sein können, und dass es selbst am Ende, wenn alles sich auflöst, immer noch eine Chance gibt, um "ins Licht" zu gehen.
(s.auch S. 78)