Immer wieder habe ich mich im Lauf meines Lebens mit dem Zustand unserer Gesellschaft beschäftigt, habe mir Gedanken gemacht und Projekte ins Leben gerufen, die dazu beitragen sollten, dass wir besser - friedvoller, freudvoller - miteinander leben können.
Dabei ist auch dieser Vortrag entstanden. Der Text ist schon etliche Jahre alt - aber ich glaube, er enthält Gedanken, die auch heute (immer noch) aktuell sind.
Was können wir tun?
Versuch einer Antwort auf die Fragen und Herausforderungen unserer Zeit
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Immer wieder werden wir daran erinnert - verbal - aber auch durch all die Entwicklungen, die wir um uns erleben, denen wir uns nicht entziehen können.
Wenn wir heil bleiben wollen - oder werden wollen - an Leib und Seele, müssen wir mit unserer ganzen Existenz eine Antwort geben. Wenn wir überleben wollen - als einzelner, als Gemeinschaft, als die Menschheit schlechthin - müssen wir uns den Fragen und Herausforderungen stellen: Ökologisches Ungleichgewicht, Klimaveränderung, Machbarkeitswahn, Verfall der Werte, Depression, Ansteigen der Gewalt - Katastrophen, Verfall, Chaos.
Aber: Chaos ist die Vorstufe für die Entwicklung von etwas Neuem - für die Entstehung einer neuen Ordnung. Altes, Überflüssiges, nicht mehr Taugliches muss beiseite geräumt werden, damit das Neue wachsen kann.
Das kann freiwillig, bewusst, aus der Erkenntnis heraus geschehen oder durch Notsituationen erzwungen werden.
Wir kennen das ja alle: Auch wenn wir wissen, dass uns übermäßiges Essen, Trinken, Rauchen krank macht, können wir doch oft nicht freiwillig aufhören. Erst die Notsituation zwingt uns, etwas aufzugeben, worauf wir Lust haben, womit wir uns aber womöglich schaden. Wir wissen oder spüren, dass uns unsere Art und Weise zu leben schadet, sind aber dennoch nicht imstande, etwas zu verändern.
Woran liegt das?
Wir sind eingebunden in gesellschaftliche Normen, Zwänge und Verhaltensweisen. Unser Konsumverhalten, unser Arbeitsverhalten, unser Freizeitverhalten sind geprägt von einem Übermaß, von einem Streben nach immer mehr Fortschritt, immer mehr Gewinn, immer mehr Genuss, immer mehr Spaß - Anzeichen von Suchtverhalten - und wie bei jeder Sucht brauchen wir einen immer größeren "Schuss".
Schwächung der Willenskraft, Verweichlichung, Schwächung des Immunsystems sind die Folgen.
Die Werbung spricht unser Unterbewusstsein so geschickt an, dass wir kaum merken, wie wir allmählich immer abhängiger werden, immer mehr manipuliert. Und dabei halten wir uns für frei und selbstbestimmt.
Dazu kommt eine immer größer werdende Isolation und eine innere Entfremdung von uns selbst.
Der Mensch, der sich allein und verlassen fühlt, der sich selbst nicht kennt, nicht mehr spürt, wer er im Innersten ist und was er wirklich braucht, um gesund zu sein an Körper, Seele, Geist, ist in Gefahr, hineingezogen zu werden in diesen Strudel, diesen Sog, mitgerissen zu werden und darin unterzugehen.
Das ist die eine Seite.
Die andere Seite liegt in der Chance, die in jeder Krise enthalten ist.
Im Chinesischen (so habe ich gelesen) gibt es nur ein Schriftzeichen für Krise und Chance.
"Wo die Not am größten, da ist Gott am nächsten", sagt ein Sprichwort.
Ich verstehe das so, dass in der Notsituation plötzlich durch alle "Fettschichten" von Konsumverhalten, von lebenszerstörenden Ansichten, Einstellungen, Verhaltensweisen das Wesentliche aufbricht und durchbricht und nach neuen Wegen sucht.
Not macht erfinderisch, macht schöpferisch. Neue Ideen, Strategien werden entwickelt - manchmal zeigen sie sich ganz zaghaft in einem kleinen Traum, manchmal erscheinen sie wie ein Blitz als Vision - manchmal sind sie aber auch durch die Notsituationen (schwere Krankheit, Flucht, Vertreibung, Naturkatastrophen, die man am eigenen Leib erfahren muss) erzwungen.
Bei und nach einem Erdbeben, einer Überschwemmung oder im Krieg wird neben allem Schmerz und Leid oft Nähe und Solidarität zwischen Menschen sichtbar und erfahrbar, die sich vorher nicht kannten, den Kontakt mieden, sich gegenseitig mit Misstrauen und Ablehnung begegneten.
Aber - so frage ich mich - müssen wir denn alle erst durch die Katastrophe gehen, um für eine neue Art des Umgangs miteinander und mit unserem Lebensraum Erde offen zu sein?
Kleinere Katastrophen hat wohl jeder schon in seinem privaten Umfeld erfahren - Verluste, Trennungen, Ausgrenzung, Einsamkeit, innere Leere, Sinnlosigkeitsgefühle, Krankheit...
Haben wir alle nicht genug "Material" gesammelt, um damit eine neue Geschichte zu schreiben?
Lassen Sie uns doch einmal eine Wirklichkeit erträumen, wie wir sie uns wünschen würden.
Von Dom Helder Camara, einem südamerikanischen Bischof, der sich unermüdlich für die Menschen seines Landes eingesetzt hat, gibt es den Spruch: "Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum, wenn viele gemeinsam träumen, dann ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit" (Vertont als 7-stimmiger Kanon). Gemeinsam von einer Welt träumen, in der die Menschen achtsam umgehen mit sich selbst, mit den anderen, mit der Natur - das könnte der Beginn einer neuen Wirklichkeit sein.
Achtsamkeit führt zu Bewusstheit, führt zu mehr Dankbarkeit und Solidarität.
Dabei ist der achtsame Umgang mit sich selbst eine wichtige Voraussetzung.
Jeder von uns hat Stärken und Schwächen. Beides gehört zu uns.
Unseren Schwächen schenken wir oft zu viel Aufmerksamkeit, wenn wir sie "frontal" angehen. Es ist nicht besonders hilfreich, unsere Schwächen so zu bekämpfen oder sie zu verdrängen.
"Was du hast und nicht haben willst, das behältst du"(Henning von der Osten).
Je mehr Aufmerksamkeit man auf etwas richtet, umso mehr verstärkt man es.
Besser ist es, unsere Schwächen zu erkennen, demütig anzunehmen als Teil von uns, uns aber dann nicht mehr zu sehr damit zu beschäftigen, sondern uns vielmehr unsere Stärken, unsere Talente bewusst zu machen, sie dankbar anzuerkennen, sie zu pflegen und so zu vermehren (wie es im biblischen Gleichnis von den Talenten heißt).
Und damit uns selbst und anderen Freude machen.
Wenn ich um meine Schwächen weiß und meine Stärken lebe, nehmen die Schwächen ganz von selbst ab.
Ich habe jetzt schon zwei wichtige (Über)-Lebensstrategien angesprochen:
Zum einen die Achtsamkeit, zum anderen den Umgang mit den eigenen Stärken und Schwächen.
Ein drittes erscheint mir wichtig.
Wir sind alle mehr oder weniger geprägt von Überzeugungen über uns selbst, über die anderen, über Sinn und Unsinn des Lebens, d.h. wir sehen uns und unsere Welt durch die Brille unserer Überzeugungen.
Unsere Erfahrungen, unsere Prägung durch unsere Erziehung, ja sogar unsere erbliche Veranlagung können uns ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wahrnehmen lassen (Ursache vieler Missverständnisse zwischen uns Menschen)
Verhaltensregeln, Moralvorstellungen, Gottesbilder sind in uns gespeichert, die unser Leben oft mehr behindern als fördern, die ein Leben in innerer Zufriedenheit nicht zulassen.
Was kann uns da weiterhelfen?
Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die über große Klarheit und Erkenntnis verfügt haben und die die Weisheit des Lebens mündlich und schriftlich weitergegeben haben.
Gerade in unserer Zeit, in der wir oft weit weg sind von der Weisheit, wo wir aber ständig durch verschiedene Medien programmiert werden mit abstrusen Sichtweisen über Sinn und Aufgabe des Lebens - wird es immer wichtiger, den eigenen Geist zu pflegen und zu schulen, indem wir uns mit den großen Weisheitslehren beschäftigen.
Dabei können wir im sog. christlichen Abendland viel von östlichen Traditionen lernen. Ich habe selbst den Weg über andere Religionen, v. a. den Buddhismus gebraucht, um die christliche Spiritualität, in die ich hineingeboren, aber nicht hineingewachsen war, besser zu verstehen und ihren Reichtum zu entdecken.
Im Wesentlichen geht es für mich bei den Weisheitslehren darum, dass uns bewusst wird, dass jeder Mensch im Innersten mit der Weisheit selbst verbunden ist, dass er eine innere Stimme, einen inneren Lehrer hat, der zu ihm spricht, wenn er seine eigenen Gedanken ruhig werden lässt, wenn er den Raum in sich entdeckt und pflegt, in dem er nichts leisten muss, nicht mehr vergleicht und wertet, den Raum, in dem er sich mit allem verbunden weiß.
Eine große Weisheitslehrerin ist dabei die Natur. Sie zu beobachten, zu bestaunen, in ihr zu sein schenkt eine innere Ruhe, in der all das Gute im Menschen sich entfalten und wachsen kann, das dann (ganz von selbst) unsere Gesellschaft verändert.
Jeder einzelne ist wichtig in dieser neuen Welt, die durch uns entstehen kann.
Jeder einzelne, der versöhnt mit sich, mit dem anderen, mit der Welt lebt, findet zu einem inneren Frieden, der auf seine Umgebung ausstrahlt und sie so neu gestaltet.