"Ich sehe deine Tränen"

(Titel eines Buches über Trauerbegleitung)

 

Vor kurzem habe ich in einem Vortrag über Gefühle gehört, dass Tränen der Trauer toxisch sind (im Gegensatz zu Tränen, die beim Zwiebelschneiden fließen).

Und während meines Engagements in der Hospizbewegung habe ich "gelernt", dass nicht ausgedrückte, steckengebliebene Trauer wie ein Gift im Körper wirkt, dass chronischer Trauerschmerz den Körper krank macht.

Wenn chronische Trauer über Jahre und Jahrzehnte anhält, weil die alten Gefühle inzwischen so verkrustet und eingefroren sind, dass man kaum mehr an sie rankommt, dann führt das meist zu Depressionen.

Die Lösung/Er-Lösung?

Nicht betrauerte Verlusterfahrungen aus der Vergangenheit noch mal anschauen - am besten wohl mit Hilfe eines liebevollen Begleiters/Freundes/Therapeuten  - und Tränen, die dann aufsteigen, fließen lassen.

Den Schmerz im Körper wahrnehmen, würdigen, annehmen - und ihn im Ausatmen loslassen.

Ein manchmal langwieriger Prozess, der aber reinigend und heilend wirkt.

 

"Ein Junge weint nicht"

"Ein Indianer kennt keinen Schmerz"

Mit solchen Sätzen ist Jungen das Weinen aberzogen worden.

Aber auch Mädchen, die starke, harte, tränenlose Mütter hatten - und der Krieg hat viele solche Mütter hervorgebracht - haben durch dieses Vorbild gelernt, Tränen zurückzuhalten.

 

Geweinte Tränen machen das Herz weich.

Bewusst durchlebte Trauer macht weich.

 

(s.a. "Dank an die Trauer" S. 103)

 

Vielleicht sollte es neben dem "Lach-Yoga" auch Übungen geben, die das Weinen (nachgeholtes wie aktuelles) fördern.

 

Manchmal ist es gut, jemanden zu haben, der einem weinen hilft.

"Klageweiber" wie es sie in anderen Kulturen gibt, haben wir leider nicht.

 

Wir sind in Gefahr, zu einer tränenlosen und damit hartherzigen Gesellschaft zu werden.

Intakte Beziehungen, in denen alle Gefühle liebevoll begleitet werden, sind bedroht durch übermäßigen Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen.

Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite sind wir immer besser informiert über die Auswirkung dieses Medienkonsums auf unsere körperliche und seelische Gesundheit.

Und aus dieser wachsenden Bewusstheit kann Veränderung entstehen.

"Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch" (F. Hölderlin)